Wenn ein Lebewesen geboren wird, ist es bereits mit gewissen Informationen versehen worden. Informationen, welche in unserer Genetik angelegt sind, Familiengeschichten, die über Generationen weitergegeben werden, sowie die Prägungen, die wir erfahren haben während der Schwangerschaft/Trächtigkeit. Siehe hierzu meinen Blog Artikel: “Seelische Belastungen und ihre Auswirkungen" unter der Überschrift „ Was die Mutterkatze damit zu tun hat“.
Wir werden geboren in Familiensysteme, welche uns formen, in denen wir unsere Erfahrungen machen. Wir gehören sozialen Gefügen an, welche Einfluss auf uns nehmen, wir übernehmen Anschauungen und Überzeugungen von unseren engsten Angehörigen und machen deren Wahrheit zu unserer eigenen. Als sehr junge Lebewesen ist es uns nicht möglich, eigene Anschauungen auf uns und die Welt als richtig zu identifizieren.
Familiengefüge
Nicht jedes Familiengefüge ist „gesund“. Nicht immer sind die Rahmenbedingungen solche, in denen ein kleines Lebewesen sicher, geborgen, geliebt und voller Fürsorge und Wohlwollen versorgt wird. Diese kleinen Lebewesen sehen sich oft schon sehr früh in ihrem Leben mit großen Herausforderungen konfrontiert: Angst, Schmerz, Trauer, Verwirrung und Einsamkeit sind Teil ihres Alltages.
Auswirkungen von ungesunden Familiengefügen
Auch kleine Lebewesen gehen unterschiedlich mit solchen Gegebenheiten um: ein kleines Lebewesen wird auf Grund ihrer Erfahrungen ängstlich, macht sich klein, wünscht sich unsichtbar zu sein und passt sich nach Außen hin an. Das andere kleine Lebewesen kämpft, macht sich groß, geht in die Sichtbarkeit und rebelliert nach außen. Und beide kleine Lebewesen sind richtig und ihr Umgang mit den Rahmenbedingungen haben ein gemeinsames Ziel: Überleben.
Traumatische Erlebnisse in früher Kindheit, welche durch Menschen verursacht werden, machen tiefe Wunden, hinterlassen lebenslange Spuren an und in den kleinen Lebewesen. Dafür gibt es viele Fachbegriffe wie Bindungstrauma, KPTBS, Borderline Persönlichkeitsstörung, dissoziative Störung und viele mehr.
Definition Trauma
Das Wort Trauma wird im menschlichen Sprachgebrauch oftmals zu indifferenziert verwendet, Trauma ist nicht gleich Trauma und oftmals wird mit diesem Begriff zu leichtfertig umgegangen, sodass Lebewesen, die tatsächlich ein Trauma erlitten haben, nicht die benötigte Hilfe erhalten.
Prof. Dr. Luise Redeermann und Dr. Cornelia Dehner-Rau definieren in „Trauma heilen“ Trauma wie folgt:
„Verschiedene Ereignisse können traumatisierend wirken; bezeichnend sind extreme Angst- und Ohnmachtsgefühle. Traumatische Erfahrungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie unsere Verarbeitungsfähigkeit übersteigen. Man könnte sagen, dass wir Menschen genau wie Säugetiere dafür nicht eingerichtet sind. Wir möchten, wenn’s brenzlig wird, fliehen oder kämpfen und unsere Kinder/Jungen in Sicherheit bringen. Wenn uns das nicht möglich ist, stecken wir in der Klemme und fühlen uns nur noch ohnmächtig und hilflos. Etwas, dass wir nicht mögen. Ohnmacht, Todesangst und Hilflosigkeit sind vermutlich die unangenehmsten Erfahrungen, die wir zu erleiden haben. Dennoch erleiden Menschen wie Säugetiere solche Erfahrungen und haben einige Mechanismen entwickelt, damit irgendwie doch fertig zu werden“.
Verena König*, unterscheidet Trauma grob in:
Schocktrauma und sequentielle Traumatisierung: ein Ereignis was plötzlich und einmalig auftritt wird als Schocktrauma bezeichnet. Bei der sequentiellen Traumatisierung hat diese über einen Zeitraum, eine Zeitspanne angedauert. Das Entwicklungstrauma bzw. Bindungstrauma wird der sequentiellen Traumatisierung zugeordnet.
Transgenerationale Traumatisierung: unverarbeitete Traumatisierungen werden unbewusst weitergegeben
Kollektive Traumatisierungen: betreffen das gesamte Kollektiv
Sekundäre Traumatisierungen: entstehen durch das empathische Mitfühlen mit einem traumatisierten Gegenüber
Mit Lebewesen zu arbeiten, die Trauma erlebt und erlitten haben, ist aus meiner Sicht eine große Verantwortung, da in jeder neuen Begegnung die Chance liegt, neue Erfahrungen zu machen und über Bindung und Beziehung heilende Erfahrungen machen zu dürfen. Das Wissen darüber ist aus meiner Sicht essentiell, um zu verstehen, warum dieses Lebewesen oftmals so schwer nachvollziehbare Verhaltensweisen zeigt.
Tiefes Bedürfnis nach Bindung
Für mich sehr naheliegend, dass diese kleinen Lebewesen, auch dann, wenn sie schon große Lebewesen sind, ihre tiefe Sehnsucht nach Nähe, Bindung und Beziehung im Umgang mit anderen Menschen nur schwer oder auch gar nicht leben können. Zu groß die Verletzungen, Spuren und Wunden.
Doch mit Tieren können diese Lebewesen Bindung und Beziehung leben. Seien, dass nun Katzen, Hunde, Pferde, Meerschweinchen oder welche Tierarten auch immer. Hier erleben diese kleinen Lebewesen, was ihnen lange verwehrt wurde und auf Grund ihrer Geschichte nicht möglich war: dass es eine wertfreie Liebe gibt, die nichts fordert und keinen Preis hat. Dass der bis dahin nur theoretisch bekannte Begriff „bedingungslose Liebe“ plötzlich empfunden und gelebt werden kann. Dass Leistung und Aussehen keine Rolle spielen im gemeinsamen Kontakt und Gefühle nicht bedrohlich sind, der Umgang wohlwollend und ein Miteinander besteht.
Da ich meinen Fokus stark auf Katzen gelegt habe, möchte ich hier nun die Katze stellvertretend für viele anderen Tierarten anführen.
Wenn Katzen traumatisiert sind
So wie kleine menschliche Lebewesen in Familiengefüge geboren werden, wird das auch ein kleines Kätzchen. Genau wie bei uns Menschen mit entsprechender Genetik. Und auch hier wird das Kätzchen in ein System geboren, wo es unterschiedliche Erfahrungen macht, mit dem Muttertier, den Geschwistern und eben auch mit Menschen.
Bedauerlicherweise gibt es Menschen, die wenig Empathie anderen Lebewesen gegenüber empfinden können. Daraus resultierend existieren Umgangsformen die sich jeglicher Würde, Anteilnahme und dem Respekt einem anderen Leben gegenüber entziehen. Überlebt ein Kätzchen, welches in so einem Umfeld geboren wird, hinterlässt dieser schwierige Start ins Leben ebenso Spuren in der Seele und auch im Gehirn der Katze.
Genau wie wir Menschen hat dieses Kätzchen unterschiedliche Möglichkeiten mit dem Erlebten, um zu gehen; so kann es Menschen gegenüber sehr aktiv/passiv aggressiv werden oder aber es meidet jeglichen weiteren Kontakt mit Menschen. Und kann somit nicht die Erfahrung machen, dass es wohlwollende, liebevolle, achtsame Menschen gibt, die eine wichtige Ressource darstellen können.
Angst bei Katzen
Da Angst ein Gefühl ist, welches wir Menschen bei unseren Katzen oftmals beobachten und eine übermäßige Angst leider nicht so selten vorkommt, möchte ich auf dieses eine Gefühl etwas genauer eingehen.
Wenn Lebewesen intensive Angstgefühle empfinden, ist das eine Belastung für den gesamten Organismus. Auf körperlicher und mentaler Ebene findet sich Stress wieder und dieser hat Auswirkungen; vor Allem lange anhaltende Gefühle wie Angst und Furcht schädigen den gesamten Organismus
Was ist Angst im Gehirn?
Ein Erlebnis, welches bei der Katze Angst auslöst wie z.B. ein fremder, sich schnell annähender Mensch, findet rasch den Weg ins Gehirn, wo es Spuren hinterlässt, die Anordnung von Nervenzellen verändert und auch Einfluss auf die Funktion von Netzwerken nimmt. Viele Studien an Menschen und Tieren wurden von der Wissenschaft durchgeführt, um herauszufinden, welche Strukturen im Gehirn zu Angstreaktionen führen. Festgestellt wurde bei diesen unzähligen Studien, dass bei diesem Vorgang eine ganz wichtige Rolle die Amygdala, also der Mandelkern, spielt. Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems, welche eine wichtige Rolle bei der Emotionsverarbeitung spielt. Man kann sie als Alarmanlage von Lebewesen bezeichnen, da sie in rasend schneller Geschwindigkeit eine Situation einschätzt und bewertet. Manche Ängste sind angeboren und absolut notwendig, um das eigene Überleben zu sichern. Wir sprechen hier von einer Warn- und Schutzfunktion.
Die Reaktion
Im Außen findet ein Schlüsselreiz statt, welcher Angst auslöst. Um Schmerz und Verletzung zu vermeiden, wird das Kampf- Flucht-Systems der Katze aktiviert. Über das sympathische Nervensystem wird jegliche Energie mobilisiert, Adrenalin und Cortisol wird ausgeschüttet und der Körper geht in Bereitschaft, um zu kämpfen, zu flüchten oder einzufrieren also fight/flight/freeze.
Also ist diese Angstreaktion eine Warn- und Schutzfunktion und keine Hysterie von Katzen!
Welche Rahmenbedingungen braucht ein traumatisiertes Lebewesen
Egal ob es sich um einen Zwei- oder einen Vierbeiner handelt, für Alle ist folgendes wichtig und heilsam:
Ein ruhiges, geduldiges Gegenüber
Zeit und den nötigen Raum, um Erfahrungen zu verarbeiten
Zeit und den nötigen Raum, neue Erfahrungen zu bewerten und zu integrieren
Einen wohlwollenden, liebevollen Umgang
Das Gefühl alles ist richtig so wie es ist
Einen Rahmen, in dem es möglich ist, neue Erfahrungen zu sammeln
Unser aller Gehirn lebt von Wiederholungen. Es reicht also nicht aus, eine einzige positive Erfahrung zu machen, die dann alle anderen Erfahrungen verdrängt oder überlagert. So funktioniert das nicht. Hat eine Katze schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, wird sie diese nicht vergessen und daraus resultierende Verhaltensweisen können immer wieder an die Oberfläche kommen. So wie ein Mensch seine Erfahrungen mit anderen Menschen nicht vergessen wird und er in bestimmten Situationen immer wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen kann.
Bitte bedenkt dabei immer, dass diese Verhaltensweisen immer ein Ziel haben: Überleben. Und dafür gehören sie wertgeschätzt. Sie übernehmen eine wichtige Funktion in unser aller Leben. Sie möchten uns beschützen, uns vor Schaden bewahren und entstanden in einer Zeit, wo sie das auch getan haben.
Langsam, mit Geduld und viel Empathie können wir Zwei- und Vierbeiner lernen, dass diese Verhaltensweisen heute nicht mehr notwendig sind, um unser Überleben zu sichern.
Und doch werden sie in Hoch-Stress-Situationen (diese bewertet unser Gehirn automatisch, das entzieht sich unserer Beeinflussung in der akuten Situation) immer wieder an die Oberfläche kommen. Allerdings ist es möglich, sie als solche zu erkennen und die Dauer und Intensität kann sich verändern. Denn unser Gehirn ist trainierbar. Die synaptische Plastizität ist die Grundlage von Lernen und Gedächtnis.
Im Training mit den Katzen bediene ich mich diesem Wissen. Durch das Training wird es der Katze möglich, neue Erfahrung zu machen, neue „Autobahnen im Gehirn“ zu erschaffen, um die gewohnten Wege zu verlassen (die destruktiven, angstbesetzten und sehr anstrengenden Autobahnen zu verlassen und einen neuen Weg zu beschreiten).
Tierheim Katzen
Katzen, die in einem Tierheim landen, haben per se bereits mindestens einen Beziehungsabbruch erlebt. Oftmals mussten sie ihre Familie und ihr gewohntes Umfeld verlassen, weil ihre Verhaltensweisen für ihre Menschen nicht mehr akzeptabel waren, sich deren Lebensumstände verändert haben oder sie schlichtweg nicht mehr gewünscht waren. Jeder der sich für ein Tier aus dem Tierheim entscheidet, sollte sich dessen bewusst sein und einen besonders behutsamen, verständnisvollen Umgang mit diesem Tier zeigen. Menschliche Erwartungen, das Tier solle dankbar dafür sein, dass es „gerettet“ wurde, sind hier völlig unangebracht und unrealistisch.
Woran erkenne ich traumatisierte Katzen
Für mich gibt es hier einen gemeinsamen Nenner: alles, was zu viel oder kaum mehr gezeigt wird, sollte genauer betrachtet werden.
Bei all diesen Aufzählungen gehe ich davon aus, dass körperliches Unwohlsein der Katze im Zuge einer fachlichen Einschätzung ausgeschlossen wurde:
Schläft eine Katze übermäßig viel oder kaum,
putzt sich übermäßig viel oder kaum mehr,
klebt an ihrem Bezugsmenschen oder geht kaum mehr in Kontakt
frisst übermäßig viel oder viel weniger
miaut übermäßig viel oder gar nicht mehr
aggressive Verhaltensweisen
Ich wünsche mir für alle kleine Lebewesen unter uns, dass sie viel Zuwendung, Verständnis und Liebe erfahren, um neue, schönere Erfahrungen machen zu können und ein lebenswertes, erfülltes, bedürfnisorientiertes Leben führen dürfen.
Ich wünsche mir Verständnis für alle kleinen Lebewesen unter uns und die Berücksichtigung der Tatsache, dass jede Verhaltensweise ihren Ursprung und ihre Berechtigung hat und immer FÜR uns ist.