Es ist bei Katzen ein großes Thema: ihre Sensibilität für psychosomatische Erkrankungen. Leider wird das in Bezug auf den „Heilungsweg“ und der Wiedererlangung der Gesundheit der Katze aus meiner Sicht zu wenig berücksichtigt.
Was bedeutet psychosomatische Erkrankung?
Die Begrifflichkeit „Psychosomatische Erkrankung“ steht dafür , dass eine körperliche Erkrankung auf eine seelische Belastung folgt. Also vereinfacht ausgedrückt, geht es der Katze psychisch nicht gut, schlägt sich das in einer körperlichen Erkrankung nieder. Vermutet wird, dass vor Allem bei Harnwegs- und Atemwegserkrankungen sowie bei Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes eine starke psychische Komponente beteiligt ist. Hoher Stress wirkt sich auch nachteilig auf das Immunsystem aus.
Genetisch steckt in der Hauskatze noch viel mehr Wildkatze als bei dem Hund der Wolf. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum Katzen weniger tolerant gegenüber Einschritten in ihre natürlichen Lebensweisen sind. Ebenso, dass sie auf stark davon abweichende Umwelt- und Haltungsbedingungen häufig mit psychosomatischen Erkrankungen reagieren.
Vor allem Katzen in Wohnungshaltung entwickeln, laut einer spanischen Studie an 336 Katzen, psychisch bedingte Erkrankungen . Katzen mit Freigang sind davon selten betroffen. Aber nicht immer und nicht als alleiniger Auslöser, ist das der Grund für psychosomatische Erkrankungen. Das würde nämlich im Umkehrschluss bedeuten, dass jede Freigänger Katze glücklich ist und wenig Stress hat, was so allgemein nicht der Fall ist.
Chronische Überforderung der Katze
Empfundener Stress ist wesentlich bei der Entstehung von psychosomatischen Erkrankungen. Hierbei bemerke ich immer wieder, dass wir Menschen Stress mit einem vollen Terminplan, großem Zeitdruck und ähnlichen Faktoren verbinden und uns daher oftmals das Verständnis für die Stressoren im Leben einer Katze fehlt. Hierbei höre ich oft Dinge wie "was hat die für einen Stress, die hat ja alles, was sie braucht" " oder „ist das Stress den ganzen Tag zu schlafen, zu fressen und nichts tun zu müssen".
Leider werden hier die biologische Komponenten oft vergessen oder sind schlichtweg nicht bekannt, die erfüllt sein müssen, damit eine Katze glücklich und zufrieden sein kann. Die Wissenschaftler Marta Armat Tomas Camps und Xavier Manteca schreiben hier "Hauskatzen sind einer Vielzahl von Stressoren ausgesetzt, die (...) verschiedene Verhaltensveränderungen auslösen können". Stress ist hier also im biologisch-medizinischen Sinn zu sehen. Stress ist somit eine Antwort auf eine Belastung, welche den Körper herausfordert. Stress kann für eine Katze bedeuten, in keiner adäquaten Art und Weise ihren biologischen Bedürfnissen nach kommen zu können (z.B. Fressverhalten, Ausscheidungs- und auch Jagdverhalten, Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug usw.)
Es sind körperliche und psychische Reaktionen auf unangenehme und oftmals schädliche Reize (=Stressoren), deren Kontrolle und Verarbeitung die Katze akut oder andauernd überfordert. Der Körper reagiert, indem er bestimmte Hormone ausschüttet, sogenannte Stresshormone. Dies sind dieselben Hormone, die auch bei Menschen ausgeschüttet werden, wenn wir in Stress geraten und wirken auf Dauer so, dass das Immunsystem geschwächt und die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten steigt.
Unterschiedliche Charaktere bei Katzen
Natürlich macht es einen Unterschied, ob die Katze sehr sensibel ist oder ob es eine Katze mit eher robusterem Charakter ist. Bei einer sensiblen Katze können Schmerzen, belastende Situationen, Ängste, Traumata und schwierige Umstände, welche von der Katze nicht beeinflussbar sind, die Entwicklung von psychischen Beeinträchtigungen begünstigen.
Robustere Charaktere zeigen eine hohe Stresstoleranz, haben gelernt mit Belastungen, um zu gehen und finden Möglichkeiten, diesen Belastungen auszuweichen. Diese Charaktere entwickeln geeignete Bewältigungsstrategien = Coping Strategien.
Epigenetik und der Bezug zu psychosomatischen Erkrankungen
Ein kurzer Ausflug in die Epigenetik: jedes Lebewesen hat einen "Bauplan", die Gene, die in Form der DNA im Zellkern jeder Körperzelle vorliegen. Allerdings soll nicht an jeder Stelle und nicht immer jedes Gen abgelesen werden. Ein Gen muss vorübergehend oder manchmal auch dauerhaft abgeschaltet werden und an einer anderen Stelle muss ein Gen aktiviert werden. Kein Organismus gleicht dem anderen, obwohl sich die Gene nicht unterscheiden.
Epigenetische Faktoren beeinflussen den Stoffwechsel, die Belastbarkeit sowie das Verhalten. Der Organismus wird dadurch geprägt, wann und wieviel Cortisol produziert wird, weil sie, die mit dem Cortisol -Stoffwechsel verbundenen Organe und Hirnregionen programmieren. Betroffen sind davon auch Teile des Gehirns und besonders erwähnenswert, der Hippocampus. Dies ist eine Hirnregion, welche als emotionaler Filter an der Verarbeitung äußerer Einflüsse beteiligt ist. Auch ist er beteiligt an: Lernen und Problemlösungsverhalten, Erinnerungsvermögen, Orientierung, Kreativität und emotionale Leistungen.
Was die Mutterkatze damit zu tun hat
Auch zählt zu den epigenetischen Einflüssen die Belastungen, welches das Muttertier während ihrer Trächtigkeit ausgesetzt war, ebenso wie die Fürsorglichkeit der Mutterkatze gegenüber dem Kitten, ihr Ernährungszustand und das Erlebnisumfeld während der Aufzucht. Wächst ein kitten ohne viele äußere Reize auf, zeigen diese eine Beeinträchtigung in der Beantwortung und Unterscheidung verschiedener optischer Reize sowie eine verzögerte Reaktion auf akustische Reize. Einige der daraus resultierenden Folgen bleiben ein Leben lang bestehen, andere werden durch spätere Erfahrungen ersetzt.
Das bedeutet: je weniger positiv erlebter Reize das Kitten kennenlernt und je mehr Stressoren schon sehr auf früh auf seinen Organismus und den der Mutterkatze einwirken, desto stressanfälliger wird diese Katze. Und das wiederum bedingt, : je größer die Stressanfälligkeit, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung psychosomatischer Erkrankungen.
Bekommt eine Mutterkatze ihre Kitten in einem nicht optimalen Umfeld, kann die daraus entstehende Stressbelastung bei den kitten zu psychischen Besonderheiten, verminderter Coping-Kompetenz und Resilienz führen. Resilienz ist die angeborene Widerstandsfähigkeit, die jedes Lebewesen besitzt. Das gleiche passiert, wenn die kitten in einer reizarmen Umgebung aufwachsen, eine wenig fürsorgliche Mutterkatze haben oder zu bald von ihr wegkommen. Dies alles erhöht die Wahrscheinlichkeit für Stressanfälligkeit und somit für Verhaltensauffälligkeiten sowie die Ausprägung psychosomatischer Erkrankungen. Kommen dann im Laufe des Lebens zusätzliche Belastungen dazu, können die verminderten Coping-Fähigkeiten krank machen.
Können die kitten lange genug bei ihrer Mutterkatze bleiben (mindestens ihre ersten 12 Lebenswochen!) wirkt sich das auf die psychische Stabilität aus.
Risikofaktoren
Anbei eine Auflistung der Risikofaktoren bei der Entstehung von psychosomatischen Erkrankungen bei Katzen. Unterteilt in kitten und erwachsene Katzen.
Kitten:
Mangelnder Ernährungszustand der Mutterkatze
Wenig Pflege, Fürsorge und Zuwendung durch die Mutterkatze
Stress der Mutterkatze während ihrer Trächtigkeit und der Zeit der Aufzucht ihrer Kitten
Unerfahrene Mutterkatze
Elterntiere die aggressive Verhaltensweisen Menschen gegenüber zeigen
Umfeld welches wenig Reize bietet in der Zeit der Aufzucht
Frühe Trennung von Mutterkatze und Geschwistern
Wenig Kontakt oder negative Erlebnisse mit Menschen in der Zeit der Aufzucht
Diese Aufzählung zeigt, wie wichtig es ist, sich zu informieren, bevor eine bzw. optimalerweise zwei Katzen zu Hause einziehen. Wie war der Charakter der Mutterkatze, haben die kitten viel Kontakt mit Menschen gehabt, mit Kindern, Männern, Frauen, kamen Fremde auf Besuch etc., durften die Kitten wohlbehalten in menschlicher Obhut aufwachsen, wurde gut auf sie geschaut, durften sie mindestens bis zur 12. Lebenswoche bei ihrer Mutter und ihren Geschwistern sein, um diese wichtige Sozialisierungsphase bestmöglich zu erleben usw.
Erwachsene Katzen:
Gewalt im Umgang mit der Katze
Traumatisierende Erlebnisse
Nicht artgerechter und empathieloser Umgang mit der Katze
Brutalität bei Erziehung und täglichem Umgang
Fehlender Freigang
Wenig bis keine Kontinuität im Tagesablauf
Häufiger Verlust von Bezugspersonen, viele neue „zu Hause“ auf Zeit
Schlechte Erfahrungen im Umgang mit anderen Katzen welche ebenfalls traumatische Erlebnisse hatten
Einzelhaltung
Mobbing
Konfliktbehaftete Beziehung zwischen Menschen und Katze
Unsicher gebundene Beziehungssysteme
Wenn es chronischer Stress anstatt einer Herausforderung wird
Die Auslöser für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen lassen sich einteilen in:
Physische Auslöser z.B. Strafe, schlechte Haltung, andauernde Bedrohung
Innerartliche, soziale Auslöser z.B. Unverträglichkeiten und daraus resultierende Probleme unter Katzen
Beziehung zwischen Halter und Katze z.B. Gewalt, schlechte Haltungsbedingungen
Hat die Katze gelernt mit diesen Herausforderungen, um zu gehen (Coping), bedeutet das für sie keinen Stress, sondern um eine Herausforderung (Challenge), die es zu meistern gilt. Diese beeinträchtigt die Katze nicht dauerhaft; im Gegensatz dazu steht das chronische Stresserleben. Dieses überlastet permanent das innere Kontrollsystem. Kommen mehrere Belastungen zusammen wie z.B. ein unvorhersehbarer, grober Halter sowie ein Artgenosse, der mobbt, dann treffen mehrere dieser Reize zusammen, der ausgelöste Stress verdoppelt sich und somit steigt auch das Risiko einer psychosomatischen Erkrankung.
Diese entwickeln sich oft Stück für Stück, welche oft als „Protestverhalten“ „Sturheit“ „Zicke“ etc. interpretiert wird.
Verhaltensänderungen sind ganz oft ein Hilferuf der Katze und zeigen, dass diese unter sehr hohem Stress steht. Bekommt die Katze zu diesem Zeitpunkt Hilfe und Unterstützung durch entsprechende Fachkräfte wie Verhaltensberaterinnen und Therapeuten, lässt sich die körperliche Manifestation oftmals verhindern.
Auflistung Verhaltensänderungen, die auf eine Stressbelastung deuten nach Amal et al: Stress in owned cats: behavioural changes and welfare implications (Journal of Feline Medicine and Surgery 2015):
Verhalten | Änderung des Verhaltens |
Appetit | meist reduziert, selten erhöht |
Putzen | meist verstärkt, selten vermindert |
Aktivitätsniveau | reduziert |
Spielverhalten | reduziert |
Erkundungsverhalten | reduziert |
Markierung durch Kopfreiben | reduziert |
Positive Interaktion mit anderen Katzen oder Menschen | reduziert |
Lautgebung | verstärkt |
Wachsamkeit | erhöht |
Verstecken | vermehrt |
Harnmarkieren | verstärkt |
Aggression ggü. Artgenossen und Menschen | verstärkt |
Zwangsstörungen | zunehmen; Katzen in einem optimalen Umfeld und mit Freigang und Artgenossen entwickeln keine Zwangsstörung |
Wissen schafft Verständnis
Ich möchte euch mit diesem Artikel aufzuzeigen, wie weit zurück oft die Gründe dafür liegen, dass manche Katzen sind, wie sie sind. Scheu, schüchtern, ängstlich, argwöhnisch, vorsichtig usw. und dass diese Verhaltensweisen nicht ihre Schuld sind und ebenso nicht euer "Versagen", nicht der Maßstab der bestehenden Bindung sind.
Seid geduldig, achtsam und positiv mit euren Katzen wie auch mit euch. Informiert euch über die Biologie der Katze, achtet auf die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse und freut euch über gemeinsame Momente.
Quelle: Patricia Loesche „Empfindlich für psychosomatische Erkrankungen“